Gene als Stellvertreter der Seele

Dorothy Nelkin, Susan Lindee, The DNA Mystique - The gene as a cultural icon, Freeman, New York 1995. ISBN 0-716-72709-9
Elemente der Naturwissenschaft 64, 1996, P. 53-55 | DOI: 10.18756/edn.64.53

Abstract:

Geht es nach dem Buch «The DNA Mystique - The gene as a cultural icon», so erfüllt die DNA in der populären amerikanischen Literatur in vieler Hinsicht die Funktion eines Stellvertreters der christlichen Seele. Die DNA ist zu einer magischen Kraft, einer kulturellen Ikone oder Metapher geworden, die unser Denken und Handeln immer mehr bestimmen wird. Diese popularisierte DNA ist unsterblich und für die Bestimmung der menschlichen Identität fundamental. Man denke nur an die DNAFingerprints oder etwa an die Diskussion über Adoptivkinder - als habe die Suche nach den biologischen Eltern eine wesentliche Bedeutung für die Identitätsfindung. Plötzlich sprießen zahllose Unternehmen aus dem Boden, welche sich auf die Stammbaumforschung verlegen. Die Mystifizierung der DNA wird von manchen Forschern unterstützt, indem diese ihre Arbeit popularisieren und ihre Bemühungen um Enthüllung genetischer Codes präsentieren, als handle es sich um die Suche nach dem heiligen Gral, um den Schlüssel zum Geheimnis des Lebens. Das menschliche Genom wird beispielsweise als Bibel oder Orakel von Delphi bezeichnet. Und der Molekularbiologe Walter Gilbert pflegt bei seinen öffentlichen Vorträgen eine Compact-Disc aus seiner Tasche zu ziehen und seinen Zuhörern bedeutungsvoll zu sagen: «Das sind Sie!» Denn auf dieser Disc könnte die gesamte genetische Information, die in den 46 menschlichen Chromosomen codiert ist und aus ca. drei Milliarden Bausteinen (ATCG) besteht, gespeichert werden. [...]