Was ist ganzheitliche Biologie?

Bericht über die Konferenz in Saratoga Springs, vom 26. bis 30. ]uni 96 «Life and Biological Form»
Elemente der Naturwissenschaft 65, 1996, P. 55-58 | DOI: 10.18756/edn.65.55

Abstract:

Eine Gruppe von ca. zwanzig Wissenschaftern aus den USA und Europa diskutierte in Saratoga über alternative, «holistische» Theorien des Lebens und die Entstehung der Gestalt von Lebewesen. Zu dieser Konferenz hatte die «Science and Mathematics Association for Research and Teaching» der Waldorfschule von Spring Hill eingeladen. Gastgeberin in Saratoga Springs war die ansässige Waldorfschule, wo Schuleltern auch einen Mahlzeitendienst eingerichtet hatten und dadurch intensive Gespräche und Diskussionen von morgens bis abends möglich machten. Zur Konferenz waren Wissenschafter eingeladen, die in ihren Forschungsbemühungen Ansätze zu einer ganzheitlichen oder «holistischen» Biologie zu entwickeln versuchen - im Gegensatz zur zeitgenössischen genetisch—reduktionistischen Biologie. Allerdings gingen die Meinungen darüber, was unter holistischer Biologie zu verstehen sei, weit auseinander. Diese Divergenz trat wesentlich durch die Ausführungen von Stephen Edelglass, einem Physiker und Waldorflehrer in Spring Valley, zutage. Nach einleitenden Referaten von Brian Goodwin von der Open University in Milton Keynes (GB) über die Notwendigkeit, eine Wissenschaft der Qualitäten zu begründen, und von Ron Brady vom Ramapo College of New Jersey in Mahwah zum Problemkreis der Intentionalität in der Wahrnehmung als Ausgangspunkt jeder phänomenologischen Wissenschaft entfachte Stephens Beitrag eine große Kontroverse. Nach seiner Auffassung leiden die Naturwissenschaften unter der Tatsache, daß Sinneserscheinungen nur noch als Hilfsmittel mit Hinweischarakter Bedeutung haben. Gleichzeitig werden jedoch in der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit, d.h. der Theoriebildung, Modellvorstellungen, die keinen unmittelbaren Zusammenhang mit Erscheinungen aufweisen, als «Pseudophänomene» behandelt. So bleibt z.B. in der Quantenphysik, der Gaia-Theorie oder der molekularen Biologie unklar, wie Begriffe und Konzepte mit Erscheinungen zusammenhängen, und erst recht, mit welcher Berechtigung oder Notwendigkeit sie überhaupt eingeführt werden. Auf der anderen Seite werden dagegen Konzepte wie «Quarks» oder «Gene» mit Qualitäten einer Sinneserfahrung versehen, obwohl Elementarteilchen oder Moleküle ebenso wenig wie die mit ihnen verbundenen Wechselwirkungen wahrgenommen werden können. Die Folgen für «Weltbilder» auf moderner wissenschaftlicher Grundlage sind unübersehbar: Alle sogenannten sekundären Sinnesqualitäten fehlen; physikalische und biologische Welten sind ohne Farbe, Ton, Geruch und Geschmack. [...]