A comment on Licht und Stoff by Mario Howald-Haller

Elemente der Naturwissenschaft 100, 2014, S. 130-131 | DOI: 10.18756/edn.100.130

Zusammenfassung:

Die optische Polarisation wird üblicherweise als dasjenige Gebiet der klassi- schen Optik betrachtet, in dem die transversale Struktur des Lichtwellenfel- des auf besonders überzeugende Weise experimentell nachgewiesen werden kann. Dass dieser Nachweis, obwohl er als experimentell bezeichnet wird, genau genommen vermittelt geführt wird und nicht auf direkter Beobach- tung beruht, ist zwar historisch nachvollziehbar, aber im 20. Jahrhundert zunehmend als grundlegender Mangel der physikalischen Optik erkannt worden. Die Feststellung, dass Licht selbst unsichtbar ist – aber auf cha- rakteristisch unterschiedliche Weise Sichtbarkeit verleiht, hat so gegenüber dem Gesamtgebiet der Optik zu der Frage nach beobachtungsbasierten Formulierungen der Optik als Phänomenologie geführt. Einen überraschend einfachen und unmittelbar wahrnehmungsbezoge- nen Zugang zum Gebiet der optischen Polarisation, auf den Mario Howald- Haller in seinem Text «Licht und Stoff» aufmerksam macht, eröffnet das Phänomen des so genannten Haidinger-Büschels. Dabei handelt es sich um ein im Kontext der Optik immer noch kaum bekanntes Kontrastphänomen, mit dem das menschliche Auge auf die Exposition gegenüber linear polari- sierter optischer Strahlung mit einer Art Nachbild antwortet: Für die Dauer einiger Sekunden wird eine überaus zarte, komplementärfarbige und kreuz- symmetrische Figur sichtbar, deren Orientierung die eindeutige Angabe der Polarisationsrichtung des einfallenden Lichtes gestattet. Durch die Identifi- kation dieses nach seinem Entdecker benannten Haidinger-Büschels kann folglich Polarisation unmittelbar gesehen werden: in den Doppelbildern des Kalkspats (Doppelbrechung), in der Spiegelung einer ruhigen Wasserfläche (Brewster-Winkel) und im blauen Himmel (Rayleigh-Streuung).