Wo singen Vögel und weshalb gerade dort?

Die Gesangsstellen der Vögel aus der Perspektive eines erweiterten Begriffs des Singens
Elemente der Naturwissenschaft 84, 2006, S. 21-36 | DOI: 10.18756/edn.84.21

Zusammenfassung:

Viele Singvögel erheben sich beim Singen aus ihrem sonstigen Lebensbereich und singen ganz oben im Bewuchs oder fliegend im Luftraum. Offenbar ist der Singtrieb bei diesen Arten verbunden mit dem Bedürfnis, ein anderes, dem Singen entsprechendes Umgebungsbild zu haben. Man kann die Singverhaltensweisen in einer Reihe anordnen, ausgehend vom Singen im Gebüsch (Mönchs- und Gartengrasmücke, Nachtigall) über Singen nach vollzogenem Aufstieg, aber noch im Bewuchs (Rotkehlchen, Zaunkönig) bis zum Singen an der oberen Vegetationsgrenze (Amsel, Heckenbraunelle) und über diese hinaus zum Singen im Flug (Feldlerche, Baumpieper). In diesem Beitrag wird, unter Ausklammern funktioneller Aspekte, versucht, die qualitative «Stimmigkeit» zwischen Gesangumgebung und Singtrieb zu erhellen. Einer Erläuterung Steiners (1923) folgend, wird das Singen als Bezugnahme des Einzeltiers zu seiner Art, das heißt zu der geistigen Quelle sämtlicher Erscheinungen am Tier, aufgefasst. In diesem Bestreben nach immer erneuerter «Kommunion» mit der eigenen Spezies lebt der singende Vogel Religion dar. Die Art als Ursprungswesen wird ihm vergegenwärtigt durch die Helligkeit und Weite des Himmelsraumes, in dessen Richtung er sich beim Singen erhebt. Im Lauf des Frühlings durchdringen sich die Qualitäten des Kosmischen und Irdischen, wie sich an Erscheinungen im mittleren Bereich zwischen Himmel und Erde, der Pflanzenwelt, ablesen lässt. Die im Gebüsch singenden Arten treffen als Zugvögel im fortgeschrittenen Frühling bei uns ein und finden dort offenbar bereits so viel Kosmisches um sich, dass ein Singen, als Anbindung an den Urquell des Vogelwesens, innerhalb der Vegetation möglich ist. In diesen Innenräumen brütet auch das weibliche Tier in einer von ihm selbst hervorgebrachten Wärmeinsel. Die Art ist ihm nicht ein Geistiges, zu dem es hinstrebt, sondern ein in irdischen Vorgängen eintauchendes Wesen, in dessen gestaltender Tätigkeit der brütende Vogel sich einfügt.

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