Anschauende Urteilskraft

Elemente der Naturwissenschaft 89, 2008, S. 42-59 | DOI: 10.18756/edn.89.42

Zusammenfassung:

Der Begriff der anschauenden Urteilskraft wird aus verschiedenen Blickwinkeln untersucht. Wie hat Goethe den Begriff eingeführt, was sagen die Wissenschafts philosophen Henri Bortoft und Jost Schieren zu dem Thema, was sind die eigenen Erfahrungen als Morphologe und was finden wir bei Wilhelm Troll zu dem Thema? Goethe unterscheidet in Anlehnung an Kant zwischen einer anschauenden und einer reflektierend diskursiven Urteilskraft. Für Kant ist die anschauende Urteilskraft eine denkbare, aber nicht realisierbare Kategorie. Für Goethe ist die anschauende Urteilskraft Erfahrungstatsache. Henri Bortoft und Jost Schieren widersprechen sich in der Beschreibung, wie Goethe zur anschauenden Urteilskraft gekommen ist. Aus eigener Erfahrung und im Sinne der Beschreibung Jost Schierens braucht es die Auseinandersetzung mit der ungeheuren Vielfalt der Sinneserlebnisse, um anschauende Urteilskraft zu entwickeln. Das Studium der Metamorphose der Pflanze und der Originaltexte Goethes werfen ein neues Licht auf die von Goethe so bezeichneten zwei Triebräder der Natur: Polarität und Steigerung. Ebenso erscheint das Zitat «Alles ist Blatt» in unerwarteter Perspektive. Bei Goethes Notiz geht es im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung nicht in erster Linie um das Blatt selbst. Bei Wilhelm Troll äußert sich die anschauende Urteilskraft in der Erfahrung der lebendigen Realität von Modellen, mit denen sich morphologische Fragen lösen lassen.

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