Von Senecio zu Epigenetik
Kommentar zu Jochen Bockemühl: Eine neue Sicht der Vererbungserscheinungen
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Zusammenfassung:
Goethes Typus – die konstituierende Idee der Pflanze – steht als unsichtbare Entität bis heute als naturwissenschaftliches Unding da. Aber ihre Implikati- onen für die Genetik, die Bockemühl am Ender der sechziger Jahre sorgfältig phänomenologisch herausgearbeitet hat, werden heute intensiv erforscht. Das Gemeine Greiskraut (Senecio vulgaris) ist eine autogame Pflanze, d.h. eine Mutterpflanze bringt Nachkommen hervor, die phänomenologisch kaum voneinander unterschieden werden können, wenn sie zur selben Zeit und unter denselben Bedingungen ausgesät werden. Nicht unerwartet gibt es morphologisch viele klar unterscheidbare Typen – Selbstbestäubung muss zu solchen Verhältnissen führen. Nach Bockemühl können die Unterschiede verstanden werden, wenn das Gestaltpotential verschiedener Typen im Jahreslauf verfolgt wird. Durch monatliche Aussaaten werden Bildetendenzen sichtbar, die sich zu anderen Zeiten auch bei anderen Typen zeigen. So kann z.B. die Gestalt eines Typs A im April kaum von derjenigen eines anderen Typs B im Juli unterschieden werden. Die Typen halten nach Bockemühl also verschie- dene Bildungstendenzen fest und geben sie an die Nachkommen weiter. Vererbung ist aus dieser Perspektive nicht Ursache für, sondern Folge von Gestaltbildung. Sie ermöglicht nicht Vielfalt, sondern schränkt sie ein. Zu einem ähnlichen Ergebnis, das zeigen die Schriften aus dem Nachlass, ist Goethe auf anderen Wegen ebenfalls gekommen.