Notiz zu «Licht und Stoff» von Mario Howald-Haller

Elemente der Naturwissenschaft 100, 2014, S. 128-129 | DOI: 10.18756/edn.100.128

Zusammenfassung:

Die optische Polarisation wird üblicherweise als dasjenige Gebiet der klassischen Optik betrachtet, in dem die transversale Struktur des Lichtwellenfeldes auf besonders überzeugende Weise experimentell nachgewiesen werden kann. Dass dieser Nachweis, obwohl er als experimentell bezeichnet wird, genau genommen vermittelt geführt wird und nicht auf direkter Beobachtung beruht, ist zwar historisch nachvollziehbar, aber im 20. Jahrhundert zunehmend als grundlegender Mangel der physikalischen Optik erkannt worden. Die Feststellung, dass Licht selbst unsichtbar ist – aber auf charakteristisch unterschiedliche Weise Sichtbarkeit verleiht, hat so gegenüber dem Gesamtgebiet der Optik zu der Frage nach beobachtungsbasierten Formulierungen der Optik als Phänomenologie geführt. Einen überraschend einfachen und unmittelbar wahrnehmungsbezogenen Zugang zum Gebiet der optischen Polarisation, auf den Mario Howald-Haller in seinem Text «Licht und Stoff» aufmerksam macht, eröffnet das Phänomen des so genannten Haidinger-Büschels. Dabei handelt es sich um ein im Kontext der Optik immer noch kaum bekanntes Kontrastphänomen, mit dem das menschliche Auge auf die Exposition gegenüber linear polarisierter optischer Strahlung mit einer Art Nachbild antwortet: Für die Dauer einiger Sekunden wird eine überaus zarte, komplementärfarbige und kreuzsymmetrische Figur sichtbar, deren Orientierung die eindeutige Angabe der Polarisationsrichtung des einfallenden Lichtes gestattet. Durch die Identifikation dieses nach seinem Entdecker benannten Haidinger-Büschels kann folglich Polarisation unmittelbar gesehen werden: in den Doppelbildern des Kalkspats (Doppelbrechung), in der Spiegelung einer ruhigen Wasserfläche (Brewster-Winkel) und im blauen Himmel (Rayleigh-Streuung).