Wie läßt sich das Weltbild ändern?

Vortrag am Rundtischgespräch zum Thema Gentechnik vom 7. bis 9. Oktober 1994 im Goetheanum Dornach
Elemente der Naturwissenschaft 62, 1995, S. 1-8 | DOI: 10.18756/edn.62.1

Zusammenfassung:

Nehmen wir die Gentechnik im metaphysischen Sinn ernst, so zeigt sie, wie das Naturbild der modernen Molekularbiologie in einem Sinn richtig und wie es gleichzeitig auch unwahr ist. Die Tatsache der Manipulierbarkeit der organischen Lebenswirklichkeit bedeutet einerseits unbezweifelbar, daß an den Konzepten der mechanistischen Biologie etwas dran ist. Die Voraussagen treffen ein; die Theorie bewährt sich im gentechnischen Experiment. Auch wenn die Aussagen der molekularen Genetik, wie die aller Naturwissenschaften, nach Karl Popper bloß Hypothesen bleiben können, die sich so lange bewähren, als sie nicht durch empirische Evidenzen falsifiziert sind, sind diese Aussagen doch für die menschliche Reichweite bestätigt, sobald sich mit ihrer Hilfe erfolgreiche Voraussagen machen lassen. Anders gesagt: Die Technologie der genetischen Manipulation und die ihr zugrundeliegende biologische Theorie gibt den Menschen, die über sie verfügen können, über den Bereich des Lebendigen Macht. Wie könnte Wissen denn anders ein Instrument der Macht sein, außer daß es wahr ist? Geht von Wissen demonstrierbare, faktische Macht über das Objekt des Wissens aus, so liegt genau in der Macht eine Bestätigung dieses Wissens. Eine wirkungsvollere Bestätigung kann es kaum geben, als die Fähigkeit, mit dem Wissen über das, wovon es handelt, verfügen zu können. Niemand kann mehr behaupten, die molekularen Mechanismen existierten nicht, seien
wirkungslos oder seien nur ein Ausdruck von unsichtbaren Lebensenergien, sobald sich diese Mechanismen technisch benutzen lassen. [...]

Referenzen
  • Jonas, Hans (1973): Organismus und Freiheit, Ansätze zu einer philosophischen Biologie, Göttingen.
  • Jonas, Hans (1979): Das Prinzip Verantwortung, Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt aM.
  • Naess, Arne (1989): Ecology, Community and Lifestyle, Cambridge.
  • Rehmann—Sutter, Christoph (1994): Leben beschreiben. Über Handlungszusammenhänge in der Biologie, Diss. Darmstadt (Publikation in Vorbereitung: Königshausen & Neumann, Tübin gen).